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Ein
Kollateralschaden ist ein „unbeabsichtigter Begleitschaden”,
der zuweilen auch als „unvermeidbar” absichtlich in
Kauf genommen wird: getötete Zivilisten in einem ungenauen
Bombenabwurf, zum Beispiel, oder auch Obdachlose in einer „sozialen
Marktwirtschaft”, sowie „bedauerliche Einzelfälle”
aller Art.
Apropos
„soziale Marktwirtschaft”: entlang der Oberfläche
handelt es sich dabei um das ehrenwerte Modell, „die Wirtschaft”
nicht allein den „Gesetzen des Marktes” zu überlassen,
sondern über staatliche Regelungen auch für einen „sozialen
Ausgleich” zu sorgen - wobei es schon alleine nachdenklich
machen könnte und sollte, dass das überhaupt notwendig
und erforderlich zu sein scheint.
Unter
der Oberfläche handelt es sich bereits bei dem Begriff um
ein Paradoxon: die Theorie der Marktwirtschaft bzw. das Wirtschaftssystem
basiert auf dem Prinzip einer „reinen Objektivität”
(genau deshalb wurde nicht zuletzt der Handel zu einer „Wissenschaft”
erklärt und erhoben), was damit jedoch zwangsläufig
alles „nur Subjektive”- und damit eben auch: alles
„Soziale” - kategorisch ausschließt.
Dieser
kleine, jedoch fatale Schönheitsfehler der Wirtschaftstheorie,
der erst bei einem Blick unter die Oberfläche erkennbar wird,
zieht sich dem entsprechend auch durch dieses gesamte System hindurch:
So
umfasst etwa der Begriff „Lebensstandard” - entgegen
landläufiger Vorstellungen - ausschließlich den
materiellen Konsum einer Gesellschaft, ermittelt anhand des
„Bruttoinlandsproduktes”, des „Bruttonationaleinkommens”
und des so genannten „Pro-Kopf-Einkommens”; was also
mit Lebensqualität herzlich wenig zu tun hat: ob
sich die Menschen wohlfühlen oder reihenweise die Brücke
hinunter stürzen hat für den „Lebensstandard”
nicht die geringste Bedeutung.
Noch
ein wenig tiefer unter die Oberfläche geschaut und sich u.a.
dem Begriff des „Bruttoinlandsproduktes” gewidmet,
fällt irgendwann auf: es handelt sich dabei um die gesamte
wirtschaftliche Leistung einer Nation, also das Erwerbs- und Vermögensaufkommen
inklusive Steuern, Subventionen, Abgaben, etc, etc.
Und
das heißt im Klartext: inbegriffen sind sämtliche Geldbewegungen(!)
auch aus Rechtsstreits, sowie medizinischen Behandlungen und Aufwendungen,
wie ärztliche Behandlungskosten, Arzneimittel, Medikamente,
Anschaffungen von technischen Geräten in Kliniken und Arztpraxen,
etc, etc.
Das wiederum heißt: je mehr Rechtsstreitigkeiten, je mehr
Nachbarschaftszank um einen Gartenzaun, und je kranker die Menschen,
desto mehr Geldbewegungen finden statt, desto höher das „Bruttoinlandsprodukt”,
desto höher(!) der „Lebensstandard”.
In der Umkehrung heißt das: je weniger sich Menschen streiten
und prügeln, je mehr Nachbarschaftshilfe, je mehr ehrenamtliches
Engagement, je gesünder die Menschen leben (etc), desto niedriger(!)
der „Lebensstandard”. Unglaublich, aber wahr.
( Anm.: Auf Initiative der EU sollen
die europäischen Regierungen seit 2011 bis 2013 eine Alternative
erarbeiten, die den Begriff „Wohlstand” auch anhand
qualitativer Werte neu definiert, wobei das Bruttoinlandsprodukt
als maßgebliches Kriterium beibehalten werden soll - was
ein echtes Kunststück wäre )
Dem
gegenüber wiederum: Deutschland als stolzer „Exportweltmeister”,
woraus nicht zuletzt gern der hierzulande herrschende Wohlstand
abgeleitet wird. Hierin inbegriffen nämlich auch, dass laut
dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut „SIPRI”
die deutschen Rüstungsexporte in den letzten 5 Jahren um
70 Prozent(!) gestiegen sind, Deutschland damit der größte
Waffenexporteur Europas und der drittgrößte der Welt
ist.
Eine sehr freie Auslegung von „sozialer Marktwirtschaft”.
Zum Beispiel, wenn man sie in einer angeblich „globalisierten
Welt” auf die eigenen Staatsgrenzen bezieht. Je nach Gutdünken.
Wie es gerade so passt.
Dem
gegenüber wiederum: Die Zahl von etwa 800.000 obdachlosen
Deutschen, was ungefähr der realen Einwohnerzahl der Stadt
Köln entspricht. Eine Zahl, die von Wohlfahrtsorganisationen
geschätzt ist, weil sie geschätzt werden muss, weil
Obdachlose - im Gegensatz zu Arbeitslosen - nicht gezählt
und nicht statistisch erfasst werden.
Das heißt: während die Arbeitslosenzahl hochaufwändig
ermittelt, „bereinigt” und geschönt und allmonatlich
präsentiert wird, weil sie so etwas wie einen Indikator für
unseren Wohlstand darstellen soll, scheint die Zahl der Obdachlosen
als Indikator offenbar ungeeignet, unwichtig und irrelevant zu
sein; geschweige denn, dass sie jeden Monat aktualisiert veröffentlicht
werden würde. Warum wohl?
Weitere
Kollateralschäden dieses Wirtschaftssystems resultieren (u.v.a.)
aus dem legitimierten Egoismus, der sog. „wettbewerbsorientierten
Selbstbehauptung”, also dem geforderten und geförderten
Rivalitäts-, Konkurrenz- und Auslesedenken:
Es
gilt „besser zu sein”, um „sich durchsetzen
zu können”, auf sämtlichen Ebenen, beileibe nicht
nur im als „Wettbewerb” verharmlosten Wirtschaftsleben
unter Unternehmen, nicht nur in Berufsleben und Karriere, nicht
erst in der Schule, wenn es um Zensuren und Abschlusszeugnisse
geht, sondern immer früher, inzwischen bereits bei den Kleinsten
in Kindergarten und KiTa ...sodass schon 4-jährige(!) Kinder
psychotherapeutisch behandelt werden, weil sie dem Leistungsdruck
in Elternhaus und Schule nicht gewachsen sind; und etwa 2 Millionen
Kinder anstelle von Psycho-Therapien heftige Aufputschmittel schlucken.
In
diesem darwin'schen Klima fühlen sich heute circa 45% der
Arbeitnehmer von Kollegen gemobbt, circa 50% leiden unter „seelischem
Druck”, Stress ist für circa 45% ein „lebensbegleitendes
Problem”. Nahezu zwangsläufig resultieren daraus entsprechende
Erkrankungen, wodurch der Wirtschaft circa 15 Millionen Euro pro
Jahr auf Grund entsprechender Arbeitsausfälle verloren gehen.
Wobei es kaum möglich ist, die weiteren Folgeschäden
in Zahlen zu fassen, die dadurch entstehen, dass die Betroffenen
ihre Probleme nach Feierabend mit in ihre Familien tragen.
Folgeschäden,
die etwa daraus bestehen, dass Erkrankte sich aus Angst um ihren
Arbeitsplatz eben nicht krankschreiben lassen, sondern so lange
weiter arbeiten, bis sich das Krankheitsbild bedrohlich verschärft
hat.
Folgeschäden, die Menschen in Isolation, Aggression und Depression
drängen, in Alkohol-, Medikamenten- oder Spielsucht, die
Menschen „in Scheinwelten flüchten” lassen (z.B.
übermäßiges Computerspielen), Amok laufen lassen
oder gleich in den Selbstmord treiben, wie ihn jährlich 11.000
(!) Menschen hierzulande begehen, 30 Menschen am Tag, darunter
mindestens ein Jugendlicher.
Das
alles übrigens... nur beispielsweise.


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