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Ohne,
dass heute noch großartig darüber nachgedacht wird,
hat sich auch die so genannte „8-8-8-Regelung” als
völlige Selbstverständlichkeit der persönlichen
und allgemeinen Lebensgestaltung etabliert: 8 Stunden arbeiten,
8 Stunden Freizeit, 8 Stunden Schlaf - als würde es sich
um eine natürliche Gesetzmäßigkeit handeln.
Eine
nur - wenn überhaupt - kaum diskutierte Einteilung, die zwangsläufig
auch dafür sorgt, dass zwischen Arbeitszeit und Freizeit
schön ordentlich unterschieden wird: „Erst die Arbeit,
dann das Vergnügen”. Während der Arbeitszeit ist
man zu Disziplin, Konzentration und Leistung verdonnert, in der
Freizeit darf man dagegen tun, was man möchte. Eine Normalität,
die es als beneidenswerte Ausnahme erscheinen lässt, wenn
ein Mensch „sein Hobby zum Beruf gemacht” hat (während
andere „arbeiten müssen”) - was ohne
diese Unterscheidung weder möglich wäre noch Neidfakor
sein könnte.
Eine (wohlgemerkt:
rein ideelle, gedankliche) Auf- und Einteilung, von einer solchen
„Selbstverständlichkeit”, dass sie a) zahlreiche
weitere „Selbstverständlichkeiten” produziert,
und b) eine andere Form der Lebensgestaltung entweder als absurd
oder unmöglich oder beides erklärt wird; in jedem Fall
so erklärt wird, dass sich ein Nachdenken und Hinterfragen
nicht sonderlich lohnen würde.
Auf
der vermeintlich einen Seite unseres Lebens befindet sich also
die Arbeit, über die man sich allerhand Gedanken machen darf:
ist der Arbeitsplatz (noch) sicher, wie sind die Karrierechancen,
wie kommt man mit Kollegen und Stess zurecht, dem Stress auf der
Autobahn und mit nörgelnden Kunden, wie kommt man mit dem
Druck zurecht, mit Umsatzvorgaben „von oben” und der
Wirklichkeit „da draußen”, was tun bei Über-
oder Unterforderung, Mobbing und/oder „innerer Kündigung”
(etc, etc) und wie sorgt man dafür, dass Partnerschaft und
Familie nicht darunter leiden?
Das alles: nur beispielsweise. Jeder kennt sich aus. Zumindest:
wenn er denn einen Arbeitsplatz hat. Ansonsten geht es
darum, einen zu finden, nicht „zu alt” zu sein, qualifiziert
zu sein oder sich weiterzubilden, auf Suche zu gehen, etc.
Auf
der vermeintlich anderen Seite ist da die „Freizeit”,
über die man sich ebenso viele Gedanken machen darf, wie
über die Arbeit: neben der Erledigung elementarer Notwendigkeiten
zum nackten Überleben (Einkaufen, Kochen, Putzen und Bügeln,
Amtsgänge, Steuererklärung und Autowaschen, etc) muss
mit dem enormem Rest der ansonsten „freien Zeit” etwas
angestellt werden, damit bloß keine Langeweile aufkommt:
surfen im Internet, Fernsehen und DVD-Abende, Kino, Restaurant,
„Freizeitpark”, „Bungee Jumping”, Computerspiele,
was auch immer.
Laut dem
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
gehört die „Freizeitindustrie” zu den „Zukunftsbranchen
des 21. Jahrhunderts” mit einem „Umsatzpotenzial in
Milliardenhöhe”, da „die Bundesbürger schon
heute 250 Milliarden Euro jährlich in ihre Freizeitgestaltung
investieren, was zwischen 10 und 20 Prozent ihres Haushaltseinkommens
entspricht”.
Was (u.a.) bedeutet: „Die Freizeit zu gestalten” ist
offenbar mit Geldausgeben verbunden, hat mit Konsum zu tun, hält
eine ganze Industrie am leben, ist eine „Zukunftsbranche”,
sogar eine mit „Umsatzpotenzial in Milliardenhöhe”.
Das
Leben scheint sich also hierzwischen abzuspielen und sonst nirgends:
zwischen Arbeit auf der einen und „Freizeit” auf der
anderen Seite. Beziehungsweise: einer „Freizeit”,
die es irgendwie zu „gestalten” gilt; und zwar vor
allem mit dem, was eine Industrie dafür anzubieten hat -
oder sich als „Zukunftsbranche” in den nächsten
Jahren an Angeboten noch ausdenken wird, was das Bundesfamilien(!)ministerium
öffentlich als Anregung für weibliche Existenzgründer
empfiehlt.
Unter der
Oberfläche verbirgt sich die allgemein für „selbstverständlich”
gehaltene Annahme, dass schließlich gearbeitet werden müsse:
Menschen müssen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt und sonstige
Anschaffungen finanzieren zu können, sowie andererseits eben
auch Geld für ihre „Freizeitgestaltung” übrig
zu haben (zwischen 10 und 20 Prozent des Haushaltseinkommens,
siehe oben).
Kurz: Arbeiten,
um neben der reinen Existenzsicherung auch konsumieren zu können,
je mehr, desto besser, der Konjunktur, dem Wachstum der Wirtschaft,
dem Erhalt und der Schaffung von Arbeitsplätzen und damit
insgesamt unser aller Wohlstand zuliebe. Das ist das kreislaufende
System - nahezu genial, um damit vor allem... Menschen zu beschäftigen;
im doppelten Sinne des Wortes.
Oder wie der Soziologe und Politiker Lord Ralf Dahrendorf meinte:
„Das Gerede von der Arbeit als einzigem Sinnstifter
unserer Existenz ist ein Herrschaftsinstrument. Wenn sie ausgeht,
verlieren die Herren der Arbeitsgesellschaft das Fundament ihrer
Macht”.
Oben auf
der Oberfläche vor aller Augen parat liegt also das Denken,
dass nur wer arbeitet und damit „gutes Geld” verdient,
und dieses Geld auch in Konsum aller Art „investiert”,
auch zum allgemeinen Wohlstand beiträgt. Was umgekehrt heißt:
wer nicht arbeitet, trägt auch nichts zum Wohlstand bei,
sondern lebt im Gegenteil schmarotzerhaft „auf Kosten derer,
die ihn hart erarbeiten”.
Unter der
Oberfläche liegt dagegen das Ablenkungsmanöver, dass
sich Menschen a) jede Menge Gedanken über (ihre) Arbeit machen,
über Arbeitsplätze, über etwaige Arbeitslosigkeit,
über etwaige Arbeitskämpfe und notfalls Arbeitssuche,
generell wie sie ihr Leben finanzieren (sollen) - sowie b) jede
Menge weiterer Gedanken darüber, wie sie ihre „Freizeit”
am besten „gestalten”, um sich von a) zu erholen,
generell wie sie ihr schwer verdientes Geld wieder ausgeben.
In
dieser „Freizeit” wiederum geht es „natürlich”
vorwiegend darum, sich von den Belastungen der Arbeitsstunden,
dem Stress auf Autobahnen und in Kaufhäusern zu entspannen.
Beliebterweise geschieht das mittels des Fernsehprogramms, das
neben Spiel- und Quizshows in Dokumentationen, Reportagen und
Talkshows wahlweise Erschütterndes und Aufregendes bietet,
das „uns alle etwas angeht”, und dem Zuschauer das
wohlige Gefühl vermittelt, dass es ihm in all dem Elend dieser
Welt und bei all den eigenen Problemen doch immernoch „ganz
gut geht”; und vollauf beruhigt ein- oder weiterschlummern
kann.
Irgendwo
dazwischen wird er mit allerlei Nachrichtenmeldungen konfrontiert,
dass der Bundespräsident eine Fähre getauft oder die
Schirmherrschaft über den Bau eines Krötentunnels übernommen
hat, dass in Neuguinea jeder Bürger jetzt das Recht auf einen
eigenen Briefkasten hat, dass in Simbabwe ein Busfahrer eine Haltestelle
übersehen hat, dass in irgendeinem deutschen Zoo eine Eisbärin
ein Junges geboren hat... und man hält sich für bestens
informiert.
Sehr
erfolgreich eingelullt wird durch das Ganze allerdings nicht nur
der arbeitende Teil der Bevölkerung, sondern auch die etwa
30% der Menschen, die gerade so über die Runden kommen, am
Rande der Armut leben oder mittendrin - man stelle sich vor (oder
vielleicht auch: besser nicht), diese Menschenmenge würde
sich nicht mehr einlullen lassen, sondern auf die Straße
gehen. Oder wie der Politiker Peter Glotz meinte: „Solange
das Drittel, das kaum mehr etwas hat, ruhig gestellt wird, gibt
es keine wirklichen Probleme. Wenn wir so weitermachen, treiben
wir das untere Drittel der Gesellschaft in Kriminalität und
Chaos”.
Eine gedankliche
Vollbeschäftigung, die die Menschen also äußerst
erfolgreich davon ablenkt, sich eventuell ein paar andere Gedanken
zu machen. Zum Beispiel darüber, welchen Sinn das Ganze eigentlich
hat - abgesehen von dem bloßen Zweck, dieses System irgendwie
funktionsfähig zu halten.


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