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Um
das gleich vorweg festzustellen: das Expertentum ist natürlich
keineswegs etwas grundsätzlich Negatives. Eher im Gegenteil
kann es hochgradig zweckmäßig, nützlich und hilfreich
sein, wenn sich Fachleute um Wasser- und Elektroleitungen, um
Reparaturen von technischen Anlagen, um den Hausbau oder auch
um eine medizinische Notfallversorgung kümmern. Das steht
insoweit völlig außer Frage.
Äußerst
kritisch hinterfragt werden sollte jedoch jedes vermeintliche
„Expertentum”, bei dem es nicht um (zum Beispiel)
Handwerk und Ingenieurwesen geht, sondern um das Denken und Verhalten,
um die Psyche, um Kultur und Zusammenleben im Allgemeinen, sowie
um zwischenmenschliche Beziehungen aller Art u.ä. im Besonderen,
sowie um das Bewerten und Beurteilen des Denkens und Verhaltens,
etwa per Umfragen und Meinungsforschung, per Psychoanalysen und
psychischer Gutachten, per Einstellungstests und Notengebung in
der Schule im Speziellen.
Denn:
es werden Soziologen, Psychologen, Pädagogen, etc, etc als
„Experten” betrachtet und bezeichnet, nicht etwa,
weil sie öfter als jeder Otto Normalbürger mit Menschen
zu tun hätten, mehr zwischenmenschliche Konflikte gelöst
oder mehr Kinder erzogen hätten als jeder Otto Normalbürger
- sondern, weil sie mehr Fragebögen ausgewertet und mehr
Studien gelesen und mehr Statistiken auswendig gelernt haben.
Wobei dasselbe fragwürdige Etikett vermeintlichen Expertentums
auch an jedem so genannten „Wirtschaftswissenschaftler”
pappt.
Was
hier unter der Oberfläche verborgen liegt, ist der bloße
Schein, man könne das menschliche Denken und Verhalten, Probleme,
Vorgänge und situative Abläufe anhand schnöder
Zahlen und bunter Tortengrafiken mit derselben Präzision
analysieren und beurteilen, wie tatsächliche Experten mit
einem Elektronenrastermikroskop arbeiten oder einen 9er oder 10er
Schraubenschlüssel ansetzen.
Und
natürlich liegt darin verborgen die bloße Hoffnung
und der Wunsch, menschliches Denken und Verhalten, Probleme, Vorgänge
und Abläufe seien doch irgendwie berechen- und kalkulierbar
- man müsse lediglich irgendwelche Zahlen sehr genau ermitteln
und irgendwie sehr fachmännisch auswerten. Der Wunsch, es
gäbe tatsächlich Experten, die genau wissen, was getan
und vermieden werden muss, die man befragen kann, was man tun
und lassen soll, um auf diese Weise auch ein Stückchen eigener
Verantwortung sehr elegant loszuwerden.
Was
solche „Experten” jedoch vielmehr lediglich tun, ist,
dass sie ihre ganz persönliche Interpretation, Einschätzung
und Meinung äußern - was keineswegs zu kritisieren
ist, so lange deren schlichte Meinungsäußerung nicht
als „wichtiger” und bedeutungsvoller hingestellt wird,
als sei sie der Meinung jedes Otto Normalbürgers überlegen.
Letzteres jedoch ist alle Nase lang der Fall und wird - direkt
vor aller Augen und offenbar trotzdem sehr unauffällig -
bestärkt und gefördert, nicht nur in jeder zweiten Talkshow,
sondern bei nahezu jeder Gelegenheit.
Bei
jeder zweiten Talkshow etwa, wenn die Stühle mit diversen
„Experten” zum jeweiligen Thema besetzt werden, während
Otto Normalbürger netterweise die Möglichkeit bekommt,
seine Meinung zwischendurch per Telefon oder eMail in die Sendung
einzuwerfen, damit die „Expertenrunde” neuen Diskussionsstoff
hat.
So,
wie beispielsweise an einem „Thementag” eines öffentlich-rechtlichen
Radiosenders die noch immer herrschenden Unterschiede zwischen
Mädchen und Jungen in Erziehung und Bildungsfragen thematisiert
wurde, und eine Diplompädagogin auf Fragen von Hörern
antwortete. Kaum ein Satz, der nicht eingeleitet wurde mit „Es
gibt keine Studien, die belegen würden, dass...”
oder „In Studien wurde festgestellt, dass...”.
Siehe oben: Es werden die schlichten Interpretationen, Einschätzungen
und Meinungen diverser „Experten” als „wichtiger”
und bedeutungsvoller hingestellt, als seien sie der Meinung jedes
Otto Normalbürgers überlegen - und zwar genau in der
Form, in der so getan wird, als würde es sich eben nicht
nur um deren Meinungen handeln, sondern um exacte wissenschaftlich-objektive
Erkenntnisse, über jeden Zweifel eines jeden ahnungslosen
Laien erhaben.
Das
Ganze hat auf den Otto Normalbürger zuweilen die Wirkung
einer kompletten Packung Schlaftabletten: in einer trügerischen
Gewissheit und einer Mischung von Sorg- und Arglosigkeit wähnt
er sich in dieser heutigen Expertenwelt allerbestens aufgehoben,
beschützt und sicher.
Amüsant formuliert ist das auch der Grund, warum Straßenschäden
eine Weile lang nicht behoben, sondern stattdessen Schilder „Vorsicht
Straßenschäden” aufgestellt werden; so ähnlich,
wie Warnschilder „fehlende Fahrbahnmarkierung” nicht
wirklich vor etwas warnen sollen, was der Autofahrer längst
selbst bemerkt hat: man will dem Bürger lediglich zeigen,
dass er ganz beruhigt sein kann, das Problem ist bekannt und es
kümmert sich bereits jemand darum, also: „keine Sorge”.
Weniger amüsant formuliert wirkt sich das unter anderem so
aus, dass sich jeder Experte von jeder (z.B.: moralischen) Verantwortung
seiner guten Ratschläge problemlos befreien kann, indem er
auf seine „Objektivität” verweist: „Objektivität”
nämlich ist Lateinisch und heißt „die Sache betreffend”
- und das heißt: eben nicht „die Menschen
betreffend” über die „sachlich”(!) geplaudert
wird und letztlich die Konsequenzen der Expertenratschläge
ausbaden müssen. Schließlich geht es auch „um
Tatsachen”, nur in Ausnahmefällen um Menschen.
Mehr noch: in der ganzen Normalität und Selbstverständlichkeit
dieser Praktik wird das dann auch von Otto Normalbürger übernommen
und angewendet. Mit dem Ergebnis, dass sich Müller absolut
im Recht wähnt, wenn er seinen Nachbarn Meier auf's Übelste
beschimpft und beleidigt, weil es schließlich „um
die Sache”, nämlich um den Gartenzaun geht. So, wie
auf der Überholspur der Autobahn eben auch ein Auto im Weg
ist, das die freie Fahrt blockiert, und kein Mensch.
Sich dem Expertentum sorg- und arglos hinzugeben, ist jedoch nicht
nur prekär in sämtlichen Belangen, in denen mit dem
Etikett der „Wissenschaftlichkeit” über das Denken
und Verhalten gemutmaßt wird (also eben u.a.: Soziologen,
Psychologen, Pädagogen, auch Wirtschafts- und Politik-„Wissenschaftler”),
sondern eigentlich noch schlimmer ist, dass Experten vielleicht
tatsächlich echte Koryphäen auf ihrem Fachgebiet sind,
...jedoch eben auch nur dort und sonst nirgends und ansonsten
völlig ahnungslos. Denn:
Man ist sich inzwischen bestens bewusst darüber, dass alles
mit allem auf engste Weise miteinander verbunden und verknüpft
ist: es gibt keine Veränderung in der Wirtschaft, die nur
ausschließlich „die Wirtschaft” betrifft, und
nicht auch weder die Natur, noch die Politik und Medienlandschaft,
noch Kultur und Gesellschaft, noch die Wünsche, Hoffnungen
und Probleme des einzelnen Menschen. Nur beispielsweise. Sondern
dass überall extreme, hochsensible Gegen- und Wechselwirkungen
stattfinden - und deshalb die Fachleute einzelner Fachbereiche
nicht nur keine Lösungen ermöglichen, sondern das Ganze
noch weitaus komplizierter machen.
Jedoch: wider besseren Wissens wird (zum Beispiel) „die
Wirtschaft” als eigener Kosmos betrachtet, in dem es ausschließlich
nur um wirtschaftliche Belange gehen würde, um die sich Wirtschaftsexperten
kümmern müssten – während sich um die direkten
und indirekten Folgen des Wirtschaftssystems wiederum andere Experten
zu kümmern hätten, wie z.B. Politiker, Psychologen,
Pädagogen, Ärzte, Anwälte, u.v.a. für „menschliche”
Folgen, sowie „Greenpeace”, „Robin Wood”,
„Food Watch”, Bürgerinitiativen, Journalisten
u.v.a. für „sonstige” Folgen, um das Ganze irgendwie
„umweltschonend und sozialverträglich” zu halten
- wohlgemerkt: statt von vorn herein für die Vermeidung
der etlichen Folgeprobleme zu sorgen.
Siehe oben: nur beispielsweise. Exact dasselbe passiert auf sämtlichen
Ebenen des Lebens, in Unternehmen, Beruf und Karriere, Forschung,
Medizin, Partnerschaft, Erziehung, Kriminalität, Verkehr,
in Tier- und Naturschutz, etc, etc, etc, weil alles das als isolierte
Fachgebiete betrachtet wird, für die jeweils eigene Experten
ihre Fachkompetenz beanspruchen, und das im allgemeinen Verständnis
genau so etabliert und anerkannt ist und (dadurch) gefördert
wird.
Weil das jedoch von Grund auf fehlgedacht ist, resultieren daraus
etliche Folge(!)- Probleme, für die wiederum die
jeweiligen Experten konsultiert werden, und das Ganze wieder fröhlich
von vorn.


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