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Es
ist aufschlussreich, wenn im deutschen Regionalfernsehen zwei
Ratgebersendungen mit ähnlichem Titel ausgestrahlt werden:
„Hauptsache gesund”, sowie „Hauptsache Arbeit”.
Entweder man ist sich nicht ganz einig, welches von beidem nun
die Hauptsache ist, oder ganz im Gegenteil: man muss möglichst
gesund sein, um fleißig arbeiten zu können.
Der
französische Arzt René-Théophile-Hyacinthe
Laênnec erfand im Jahr 1816 das Stethoskop. Aus der Scham
heraus, die Brust einer weiblichen Patientin nicht berühren
zu wollen, rollte er Papier zusammen, um mit diesem „verlängerten
Ohr” ihre Atemwege abzuhören. In den Folgejahren entwickelte
sich das Stethoskop nicht nur zu dem eindeutigen äußeren
Erkennungszeichen eines Arztes, sondern es war der Beginn dessen,
was bis heute zur Selbstverständlichkeit geworden ist: die
Dominanz der Technik in der Medizin allgemein, und in der Beziehung
zwischen Arzt und Patient im Speziellen.
Seit dem
nämlich war und ist die Rollenverteilung immer weniger bis
nicht mehr von den Symptombeschreibungen des Patienten einerseits,
sowie den Nachfragen und der Erfahrung des Arztes andererseits
geprägt. Sondern vom Stethoskop über die Röntgenstrahlen
bis zur Computertomographie wurde zunehmend der Technik als „objektives
Informationsmittel” vertraut.
So
besteht die Tätigkeit eines Arztes heute vornehmlich darin,
die Informationen technischer Geräte auszuwerten, statt ausgedehnte
Gespräche mit dem Patienten zu führen. Das spart beiden
Beteiligten kostbare Zeit und steigert Effizienz und Produktivität
der Arztpraxen, die heute zwangsweise als Unternehmen geführt
werden müssen und Gewinn zu erwirtschaften haben - unter
anderem, um die Kredite für die immens teure technische Ausstattung
abstottern zu können.
Ebenso ironisch
wie tragisch, dass Patienten gern über diese Distanz zum
Arzt klagen, über dessen mangelndes Zuhören und mangelnde
Einfühlung, jedoch gleichzeitig erwarten, dass die eigentliche
Diagnose und eigentliche Behandlung bitte durch modernste Technologie
erfolgt. Es ist also auch der Patient, der die Kompetenz eines
Arztes an dessen technischer Ausstattung festmacht.
Nun kann
man natürlich auf dem Standpunkt stehen, dass es sich hierbei
eben um die Vorzüge und Nachteile der modernen Medizin handeln
würde. Man kann dazu argumentieren, dass heutige Lasertechnologie
es ermöglicht, Sehschwächen fast komplett zu beheben,
dass Operationen möglich sind, ohne die Bauchdecke öffnen
zu müssen, indem mikroskopisch kleine Kameras und chirurgische
Werkzeuge in den Körper eingeführt werden, etc, etc,
etc.
Der eigentliche
Knackpunkt liegt jedoch unter dieser Oberfläche verborgen
in der Frage, welche und wie viele Eingriffe nur deshalb überhaupt
vorgenommen werden, weil die entsprechende Technologie zur Verfügung
steht(?). Wie viele Präparate (z.B. zur „Steigerung
von Aufmerksamkeit und Leistungsvermögen”) nur deshalb
eingenommen werden, weil sie in Apotheken frei erhältlich
sind(?).
Einerseits geht es darum, dass Patienten mit leichten Kopfschmerzen
heute von ihrem Arzt eine computertomographische Untersuchung
erwarten. Andererseits geht es darum, dass der Arzt seinen Computertomographen
so oft wie möglich einsetzen muss, damit er sich nicht nur
rentiert, sondern idealerweise auch zum finanziellen Gewinn beiträgt.
Apropos „finanzieller
Gewinn”: Das herrschende Wirtschaftssystem ist inzwischen
dermaßen extremistisch aus der Bahn geraten, dass so ziemlich
alle Berufsstände dem Typ „Geschäftsmann”
zu- und untergeordnet wurden. So nicht zuletzt auch der Arzt,
der Zahnarzt, der Radiologe, der Orthopäde, etc, etc, etc:
Sie alle sind heute gezwungen, ihre Praxis als Wirtschaftsunternehmen
zu führen, ihre Tätigkeit in erster Linie(!) betriebswirtschaftlichen
Kriterien der Produktivität und Effizienz (etc) unterzuordnen,
um die Miete für die Praxisräume, Gehälter ihrer
Helferinnen, die Kreditraten für technische Geräte und
- erheblich zunehmend - auch Marketing und Werbung - finanzieren
zu können.
Dabei kommt nicht nur zwangsläufig der Patient zu kurz, sondern
auch der Arzt selbst, der seine Patienten inzwischen als „Zielgruppe”
zu betrachten und seine Tätigkeit als „Ware”
anzupreisen hat, mit allem, was Betriebswirtschaft, Strategie,
Marketing und Werbung hergeben - ob er will oder nicht.
Perfekt
dazu passend übrigens, dass (irgendwie entgegen aller üblicher
Parolen in Bezug auf Gesundheitsvorsorge) das deutsche Bundesgesundheitsministerium
dem „IQWG”
(„Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit
im Gesundheitswesen”) kürzlich den Auftrag erteilt
hat zu ermitteln, wie viel Geld ein zusätzliches Lebensjahr
„kosten darf”, das ein Mensch durch einen medizinischen
Eingriff dazugewinnt. Oder auch: welcher Preis für einen
Eingriff bzw. für ein Medikament so gerade noch „in
einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen” steht.
Das
heißt unter der Oberfläche im Klartext: auch medizinische
Vorsorge und/oder Heilung müssen sich rechnen(!).
Es geht weniger um das gesundheitliche Wohl eines Erkrankten als
vielmehr um die Wiederherstellung seiner Leistungsfähigkeit:
das Wirtschaftssystem benötigt nicht nur leistungswillige,
sondern eben auch leistungsfähige Menschen.
Noch etwas
tiefer unter der Oberfläche befindet sich die heute allseits
etablierte Auffassung dessen, was überhaupt eine gute und
eine schlechte Medizin ist; mehr noch: was überhaupt unter
„Medizin” verstanden und damit verbunden, und damit
wiederum gleichzeitig ausgeschlossen wird:
Das heutige
Verständnis nämlich ist noch immer die mechanistische
Auffassung des 17. Jahrhunderts.
Es ist die Auffassung eines Francis Bacon, der anno 1607 den Spruch
„Wissen ist Macht” prägte und so genannten „Vater
der empirischen Wissenschaft”, der die Natur als „zu
bekämpfenden Gegner und Feind des Menschen” betrachtete,
und damit die Wissenschaft nachhaltig prägte: weg davon,
die Natur besser verstehen zu lernen, sondern „ihr die
Geheimnisse entreißen und sie zur Sklavin machen”
(Bacon) - weshalb noch heute gegen jede Krankheit „gekämpft”
wird, gegen jede Alterserscheinung („Anti-Aging”),
sogar gegen das Altern an sich.
Und es ist die Auffassung eines René Descartes (anno 1619),
wonach Körper und Geist nichts miteinander zu tun hätten
- weshalb noch heute jedwede Erkrankung zunächst einmal auf
körperliche Ursachen abgeklopft wird, bevor man eventuell
in Erwägung zieht, dass sie (auch) seelisch bedingt sein
könnte.
Der
Auffassung Descartes' folgt gleichfalls, den menschlichen Körper
mit einer Maschine gleichzusetzen, die entweder funktioniert oder
nicht-funktioniert (siehe auch: „Körperfunktionen”),
und dem entsprechend auch „der” jeweiligen Ursache
vermeintlicher „Fehlfunktionen” auf den Grund gehen
zu müssen, indem man den Körper detailliert untersucht;
quasi eben „zerlegt, wie eine Maschine”.
Exact dieses
absurde mechanistische Verständnis ist es, warum heute noch
immer gemeint wird, man könne durch die Einnahme von Medikamenten,
Vitaminen oder Joghurts oder Bonbons einer Krankheit vorbeugen
oder sie bekämpfen, wie man bei einem Motor einen Ölwechsel
vornimmt.
Und exact dieses absurde mechanistische Verständnis ist es,
warum heute zudem noch immer gemeint wird, eine Krankheit sei
etwas, was „von außen in den Körper eindringt”
und dort einen Schaden verursacht, so, wie ein Motor beschädigt
wird, wenn man ihm Kaffee statt Motoröl einfüllt.
Und exact dieses absurde mechanistische Verständnis ist es,
warum heute zudem noch immer gemeint wird, man sei entweder gesund
oder krank, man könne also zwischen Gesundheit und Krankheit
exact unterscheiden, so, wie ein Motor eben funktioniert oder
nicht funktioniert.
Dem gegenüber
wird zunehmend gern von „alternativen Heilmethoden”,
wie etwa der Homöopathie gesprochen - von Seiten der Pharma-Industrie,
der Schulmedizin und deren Verfechtern mit dem scheinbaren Zugeständnis
„Wer heilt, hat Recht”, während es gleichzeitig
als „Hokuspokus” verhöhnt wird. Denn...
Nicht nur
der Pharma-Industrie würden Milliardensummen durch die Lappen
gehen, sondern auch den Herstellern medizinischer Geräte,
bis hin zu Apotheken, sowie Getränke- und Süßwaren-Produzenten,
die ihre Produkte „mit Vitamin C-Zusatz” versehen
- wodurch wiederum nicht nur einige Hunderttausend Arbeitsplätze
ersatzlos wegfielen, sondern auch der Staat auf einige Milliarden
Euro Steuern aus dem Handel von Medikamenten, technischen Geräten,
ärztlichen Behandlungen, Klinikaufenthalten, Süßwarenverkäufen,
etc, etc verzichten müsste.
Deshalb
hat im zurzeit herrschenden System kaum eine Stelle auch nur den
Hauch eines Interesses daran, dass alternative Heilmethoden tatsächlich
als gleichrangige Alternative zur Schulmedizin gelten, dass Menschen
auf Heilpflanzen oder „Omas Hausmittel” zurückgreifen,
oder gar ihre Selbstheilungskräfte nutzen. Sondern im Gegenteil
wird deshalb das völlig überholte, absurde mechanistische
Verständnis des 17. Jahrhunderts gefördert - auf Kosten
der Menschen, zum Wohle der (Volks-)Wirtschaft.


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