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Kein
Tag, an dem nicht in irgendeinem Medium mindestens eine Meldung
darüber informiert, was Wissenschaftler nun endlich herausgefunden
hätten bzw. was nun endlich „wissenschaftlich nachgewiesen”
werden konnte oder unbedingt noch eines wissenschaftlichen Nachweises
bedarf.
Ganz gleich, um was es auch geht, um welchen Lebensbereich es
sich auch handelt: die Wissenschaft genießt das Ansehen,
nur sie könne etwas zur Wahrheitsfindung leisten, während
alles andere nur reine Spekulation, Glaube und/oder „Lesen
im esoterischen Kaffeesatz” sei.
Eine der
etlichen heutigen „Selbstverständlichkeiten”,
die jeden Zweifel daran als lächerlich und weltfremd erscheinen
lässt. Aber...: warum eigentlich?
Wie in den
meisten Fällen gibt es viele Gründe. Zum Beispiel den
Glauben daran, es würde sich bei wissenschaftlichen Erkenntnissen
um zweifelfreies Wissen handeln. Oder auch den Glauben daran,
Wissenschaft würde sich eben nicht „nur mit bloßem
Glauben begnügen”, sondern basiere auf nachprüfbaren
Fakten und auf objektiven Beweisen; und damit jenseits von „nur
subjektiven” Vermutungen.
So gelangt
man allmählich ein Stück weit unter diese Oberfläche
und allmählich zum Kern der Angelegenheit: zur Mathematik.
Ein gewisser Galileo Galilei definierte im Jahr 1632, dass nur
als Wissenschaft bezeichnet werden kann und darf, was sich zählen,
wiegen und messen, was sich anhand von Formeln berechnen, also
kurz: was sich mathematisieren lässt.
Vom Gravitations- und Fallgesetz in der Physik über die Kernladungszahl
in der Chemie, die u.a. über die Position der chemischen
Elemente im Periodensystem mitbestimmt, bis zur Berechnung von
Populationsdynamik und morphologischen Eigenschaften von Lebewesen
in der Biologie (u.v.a.): die Naturwissenschaften basieren auf
der Mathematik. Oder wie Galilei meinte: „Das Buch der Natur
ist in Zahlen geschrieben”.
Entlang der
Oberfläche denkt der Laie dabei zurück an seine Schulzeit
und erinnert sich bestens daran, dass es in der Mathematik kein
„Vielleicht” gibt, sondern nur ein „Richtig-oder-falsch”,
dass es keine Interpretations- und Ermessensspielräume und
kein „Eventuell” gibt, sondern Formeln; und das sogar
für die Berechnung von Zufall und Wahrscheinlichkeiten -
und überträgt das auf die (deshalb) wohl ebenso präzisen
Forschungen, „Beweise” und Erkenntnisse der Naturwissenschaften.
Noch etwas
tiefer unter der Oberfläche werden damit die Menschen, die
überhaupt irgendetwas „Ernstzunehmendes” über
das Leben, Natur und über „die Wahrheit” sagen
können und dürfen, auf einen vergleichsweise kleinen,
elitären Kreis von „Wissenden” begrenzt, die
die entsprechenden Zahlen und Formeln beherrschen - eben: auf
Wissenschaftler - während alle anderen als Ahnungslose dastehen,
die sich besser nicht lächerlich machen, sondern lauschen,
was man ihnen erklärt; sofern sie es denn überhaupt
verstehen.
Das wiederum
heißt: jeder, der ernstgenommen werden möchte, wird
(mehr oder weniger unterschwellig) dazu gezwungen, mit Zahlen
um sich zu werfen, oder sich auf Studien und Statistiken, auf
„wissenschaftliche Nachweise” zu berufen.
Man erreicht
nichts, weder bei einem Politiker, bei einem Verwaltungsbeamten,
bei einem Richter, noch bei sonstjemandem, indem man Shakespeare
oder Goethe zitiert oder aus der Bibel, wenn man von „Mutter
Natur” spricht oder sich auf den „gesunden Menschenverstand”
beruft, sondern man muss Zahlen vorlegen und mit Statistiken und
Studien „nachweisen”, dass u.a. Luftverschmutzung
und Lärm tatsächlich der Gesundheit schaden und die
Natur zerstören, dass Stress und Druck tatsächlich belastend
wirken, dass Liebe und Zuneigung sich tatsächlich positiv
auf Partnerschaft und Kinder auswirken.
Es
ist also die unbestechliche Exactheit und Genauigkeit der Mathematik,
die den Otto Normalbürger dazu verleiten, den Natur- und
Geisteswissenschaften kurzerhand dasselbe Prädikat zu attestieren,
und jedwede Wahrheitssuche ehrfurchtsvoll dem Wissenschaftler
zu überlassen, der sich schließlich damit auskennt.
Dumm
daran ist nicht nur, dass der so heimlich entmündigte Otto
Normalbürger jedes eigene Nachdenken über das Leben,
die Natur und „die Wahrheit” einstellt, und jedes
Hinterfragen von „wissenschaftlichen Nachweisen” unterlässt
- als ob Man(n) seiner Lebenspartnerin besser eine fundierte Studie
in die Hand drückt, statt einen Strauß Blumen.
Beispielsweise
hinterfragt, was es - und zwar: trotz der Exactheit mathematischer
Berechnungen - überhaupt mit „nachprüfbaren Fakten”
und „objektiven Beweisen” zu tun hat, wenn Astrophysiker
von der Erkenntnis sprechen, es gäbe nicht nur dieses unsere
Universum, sondern vielmehr würden wir in einem „Elfdimensionalen
Quantenschaum” leben, in dem sich jedoch 7 Dimensionen irgendwie
„aufwickeln”, sodass letztlich nur die bekannten 4
Dimensionen der Raumzeit übrig bleiben, mit denen wir tagtäglich
zu tun haben(?). Eine „Wahrheit”, die lediglich auf
dem Papier „beweisbar” ist - jedenfalls: sofern man
das glaubt.
Man könnte
auch in Frage stellen, was derartiges überhaupt soll. Was
vielleicht als Frage noch viel mehr angebracht ist, wenn ein gewisser
Dr. Georg Steinhauser, Chemiker am Atominstitut der Österreichischen
Universitäten in Wien, in Medien öffentlich berichten
darf, dass laut seiner Berechnungen ein Unterhemd innerhalb von
1000 Jahren Tragezeit komplett vom Bauchnabel vernichtet wird,
was jedoch laut seiner Forschungen wesentlich auch von der Stoffqualität
abhängen würde, bei einer angenommenen Nabelkapazität
von täglich 7 bis 9 Fusseln à jeweils 1,82 Milligramm
Durchschnittsgewicht.
Fast noch
schlimmer verhält es sich mit den sog. „Geisteswissenschaften”,
die sich dem Etikett der Wissenschaftlichkeit nur bedienen, um
das ehrfurchtsvolle Ansehen auszunutzen, das den Naturwissenschaften
entgegengebracht wird:
Soziologen,
Pädagogen, Psychologen und Wirtschafts-„Wissenschaftler”
(u.v.a.) möchten seit jeher in den Genuss der heute herrschenden
Wissenschaftshörigkeit kommen; und haben das sogar geschafft,
indem sie sich heimlich darauf berufen, schließlich ebenfalls
mittels mathematischer Berechnungen vorzugehen - als gäbe
es keinen Unterschied zwischen der simplen Addition, Subtraktion,
Multiplikation, Division und Interpretation irgendwelcher irgendwie
ermittelter Zahlen (Statistik) einerseits, und den Naturgesetzen
andererseits.
Herausgekommen
ist bei diesem Irrsinn der heute herrschende, felsenfeste Glaube
daran, dass jedwedes Problem (und damit auch: jedwede Lösung)
mathematischer Natur sei. Dass man dem entsprechend nur noch ein
paar mehr Zahlen bräuchte, nur noch ein paar Prozentwerte
noch etwas genauer ermitteln müsste, um mit der richtigen
Formel, Berechnung, Kalkulation und Statistik endlich herauszufinden,
was „die Ursache” für ein (bzw: für jedes)
Problem und was zu tun und zu lassen ist.
( Anmerkung
am Rande: wobei Wissenschaftler dann jedoch jede Verantwortung
für das ablehnen, was sie unterschwellig oder wortwörtlich
empfehlen, erst recht jegliche Verantwortung ethischer und moralischer
Art verweigern, weil Ethik und Moral schließlich „nur
subjektive” Wertvorstellungen seien, während Wissenschaft
nun einmal auf „objektive Fakten” beschränkt
zu bleiben habe. )
Noch etwas
tiefer unter der Oberfläche folgt daraus: wenn offenbar jedes
Problem und damit auch jede Lösung mathematischer Natur sei,
und damit ein Fall für Formeln, Berechnungen und Kalkulationen,
dann scheint auch der Computer das ideale - im Grunde sogar: das
einzige - Mittel zu sein, um überhaupt noch etwas verstehen
und ausrichten zu können.
Exemplarisch dafür die Computermodelle, die angeblich den
„Treibhauseffekt” und den „Klimawandel”
sowohl nachweisen als auch für die Zukunft prognostizieren
sollen, nämlich eben: durch Berechnungen. Mit dem Ergebnis,
dass - angeblich - auch die Lösung dieses errechneten Problems
durch ebenso simple Berechnung erfolgen könne, etwa mittels
internationalem „Emissionshandel” oder mittels der
Begrenzung des CO2-Ausstoßes von Kraftfahrzeugen. So einfach
ist das.
Und
weil man dazu wiederum meint, dass ein Computer umso präziser
berechnet, mit je mehr Zahlen und Daten man ihn „füttert”,
werden dem entsprechend immer mehr Zahlen und Daten gesammelt,
die Berechnungen noch komplexer, und das Ganze wieder von vorn
- sodass Otto Normalbürger letztlich a) nicht nur der Wissenschaft
ausgeliefert zu sein scheint, sondern auch deren Computern bzw.
Computerberechnungen, und b) genau dadurch als ahnungsloser Laie
hingestellt wird, der das Ganze doch wohl nicht ernsthaft hinterfragen
will.
Von
persönlichen Problemen über zwischenmenschliche Konflikte
bis zu den großen Problemen unserer Zeit (z.B. „Klimawandel”,
Bauchnabelflusen) scheint damit völlig klar: so etwas wie
Demut und Respekt, Verantwortung und „Naturverbundenheit”
sind keine Werte, auf die man zählen(!) und auf die man Entscheidungen
stützen könne. Sondern einzig verlässlich seien
nackte Zahlen, Daten, Kalkül und rationale Distanz.


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